Katalog Stefanie Lampert - mind the gap

 

erschienen 2007

 
     
 

mit Textbeiträgen von Marjatta Hölz und Andreas F. Beitin

ISBN 978-3-937295-72-5

 
     
   

Dr. Andreas F. Beitin

 

Rappel a l'ordre. Stefanie Lamperts Partituren aus Farbe, Form und Licht

 
     
     
 

Der König ist tot, es lebe der König. "Als ich im Jahre 1913 in meinem verzweifelten Bestreben, die Kunst von dem Ballast des Gegenständlichen zu befreien, zu der Form des Quadrats flüchtete und ein Bild, das nichts als ein schwarzes Quadrat auf weißem Felde darstellte, ausstellte, seufzte die Kritik und mit ihr die Gesellschaft…", stellte Kasimir Malewitsch retrospektiv zu seinem Geniestreich fest. Kein anderer Künstler hatte vor ihm einen derart radikalen Schritt getan: Mit seinem Schwarzen Quadrat beendete er alle abbildende Malerei und eröffnete zugleich das neue Feld der ungegenständlichen Malerei. Seither haben sich viele ungegenständliche Stilrichtungen entwickelt, denen Farbe und Form als allein bildkonstituierende Mittel ausreichen. Besonders die nach dem Zweiten Weltkrieg unter dem Oberbegriff der Farbfeldmalerei zusammenzufassenden Maler sind im Kontext der Bildwerke Stefanie Lamperts von Relevanz. Nun ist es ein Trugschluss zu meinen, dass Malewitschs Quadrate von geometrischer Perfektion sind. Tatsächlich sind sie verzogen und leicht unregelmäßig. Neben der Monochromie stellt auch dieser Aspekt einen Bezugspunkt zwischen Lampert und Malewitsch dar, denn Ihre Farbwerke sind keine Bilder, die traditionell plan an der Wand hängen. Lamperts Farbflächen neigen sich vor, mit ihrer ganzen Fläche oder in Teilen, drängen konkav in den Raum und korrespondieren durch ihre Mehrteiligkeit mit ihm und untereinander. Die Bilder besitzen eine geradezu skulpturale Qualität, denn sie sind gewölbt, im Rahmen unterschiedlich hoch und vermeiden eine einheitliche Ebene.

Durch ihre reduzierte Formensprache finden die Arbeiten Stefanie Lamperts eine weitere Referenzgröße im Minimalismus. So lotete Carl Andre, als einer der wichtigsten Vertreter dieser Richtung, bereits in den 1960er Jahren mit seinen zweidimensionalen Bodenskulpturen schon den Grenzbereich zwischen den Gattungen Bild und Skulptur aus. Seine "Vorstellung einer Skulptur ist eine Straße. Nämlich, eine Straße lässt sich nicht von oder an einem bestimmten Punkt entdecken. Straßen erscheinen oder verschwinden. Entweder befinden wir uns auf ihnen oder neben ihnen. Aber wir haben keinen bestimmten Blickpunkt für eine Straße, nur einen Blickpunkt, der sich bewegt, der an ihr entlang geht. (…) Ich denke, Skulptur sollte einen nicht festgelegten Blickpunkt haben." Vor allem die letzte Feststellung ist von Relevanz für die Wandarbeiten von Stefanie Lampert. Auch ihre Farbwerke müssen aufgrund ihrer dreidimensionalen Tendenz von vielen Standpunkten aus erschlossen werden; frontale Ansichten allein werden ihnen nicht gerecht. Erst durch den wechselnden Betrachterstandpunkt - wie bei einer Skulptur - offenbart sich ihr subtiles Spiel von Farbe, Form und Licht bzw. Schatten. So sind Lamperts Wandarbeiten auch am besten in Räumen zu erfahren, die den unterschiedlichen Lichtsituationen der sich ändernden Tageszeiten ausgesetzt sind.

Die Bildwerke sind in langen Arbeitsprozessen sorgsam komponiert und mit handwerklicher Perfektion geschaffen worden. In ersten Bleistiftskizzen entwickelt Lampert Proportionen und Anordnungen, die sie in immer wieder neuen Zusammenstellungen kombiniert, solange, bis daraus eine für sie funktionierende Gesamtform entsteht. Diese wird dann materialiter umgesetzt. Der eigentliche Akt der malerischen Produktion erfolgt durch das mehrfache Auftragen dünner Schichten Ölfarbe auf Leinwand, bis die endgültige Farbigkeit, die zu Form und Gesamtkomposition passend erscheint, gefunden ist. Neben dem subtil abgestimmten Kolorit der Leinwände ist ein weiterer faszinierender Aspekt der Arbeiten ihre Unregelmäßigkeit in der Form und der Höhe des Rahmens und in ihrer jeweiligen Anordnung. Hierdurch ergibt sich trotz der minimalen Geste eine nicht zu unterschätzende Wirkung auf die Wahrnehmung des Betrachters sowie den ganzen Raum, den die Künstlerin bei all ihrem Tun stets mit berücksichtigt.

Carl Andre empfand seine Bodenskulpturen nicht als flach, sondern meinte, dass über ihnen eine Luftsäule stehen würde. So kann man auch Stefanie Lamperts Wandarbeiten eine über das Materielle hinausgehende, in den Raum zielende Tendenz zusprechen. Sie haben gegenüber den metallenen Werken Andres den Vorteil, dass man durch das abstrahlende Farblicht etwas von dieser immateriellen Qualität tatsächlich wahrnehmen kann. Denn durch das Vor- und Zurückweichen der einzelnen Bildfelder entsteht nicht nur ein spannungsvoller Dialog zwischen den einzelnen Farbfeldern, sondern auch eine Dynamisierung des Raumes. Verstärkt oder konterkariert wird dieser Effekt durch die Farben, von denen bekannt ist, dass sie "nämlich von Natur aus die Fähigkeit [besitzen], in uns das Gefühl zu wecken, dass sie entweder zurückweichen oder vorwärtsdrängen", so Mark Rothko. Von Farben kann dementsprechend eine raumverengende oder raumerweiternde Suggestionskraft ausgehen.

Wir hörten von der Vorstellung von Skulptur als Straße. Straßen sind Verkehrswege. Aus der Sphäre der unterirdischen Verkehrswege ist der Titel zu Stefanie Lamperts Ausstellung entlehnt: mind the gap. Dieser in den U-Bahnen angelsächsischer Länder omnipräsente Warnhinweis lenkt die Aufmerksamkeit der Reisenden auf Zwischenräume, Lücken und Spalten und warnt davor, an oder in ihnen hängen zu bleiben. Im Kontext der Bildwerke Lamperts soll der Titel ebenfalls auf Zwischenräume aufmerksam machen, denn es entspricht dem Konzept Lamperts, bei manchen ihrer mehrteiligen Arbeiten Abstände zwischen den einzelnen Farbträgern zu lassen. Hier entfaltet sich ein anderer Teil ihrer Farbwelt: Reflexionen und farbige Schatten. Schon wussten beispielsweise die Impressionisten, dass der Schatten nicht grau oder schwarz, sondern farbig ist. Hatte sich in früheren Arbeiten Stefanie Lamperts "das Bild" zunächst auf der Fläche abgespielt, wird durch das Ausdehnen der Farbe auf die Seitenflächen dieser von der individuellen Wahrnehmung und den Lichtverhältnissen abhängige Aspekt deutlich. Zur Aura der Bilder des schon erwähnten Mark Rothko trägt neben ihrem transzendentalen Charakter vor allem das Farblicht bei, das bei adäquater Präsentation und optimalem Abstand des Betrachters wahrnehmbar ist. Stefanie Lampert lässt dieses Farblicht von den seitlichen Leinwandpartien deutlich sichtbar abstrahlen. Diese lateralen Farbreflexionen sind die Ligatur, der immaterielle Ordnungsruf, der die einzelnen Module aneinander bindet, die Partitur aus Farben, Formen und Licht zum harmonischen Klingen bringt.

Aus dem bisher Gesagten erscheint Stefanie Lamperts Konsequenz, auch mit Licht zu arbeiten, nur mehr als logisch. Die Technik, mit gefärbtem Glas und künstlichem wie natürlichem Licht immaterielle Bilder zu "malen" und damit ganze Räume zu inszenieren, ist ein fester Bestandteil im Werk der Künstlerin. Bevor man Anfang des 20. Jahrhunderts begann, reales elektrisches Licht in der bildenden Kunst zu verwenden, wurde Jahrhunderte lang das siderische Licht, das heißt das der Gestirne sowie das der künstlichen Lichtquellen, mittels Farbe in der Malerei visualisiert. Auf sinnfällige Weise verbindet Lampert in ihren Farblichtinstallationen die kunsthistorischen Wurzeln der Simulation (von Licht durch Farbe) und Präsentation (von Farbe durch Licht) zu einem schlüssigen Konzept. Während die Module ihrer Wandarbeiten neben- und übereinander angeordnet sind, haben Lamperts in situ-Lichtinstallationen den Vorteil des Über- und Durcheinanders. Durch die kreuzweise Projektion des farbigen Lichts entstehen so immaterielle Bilder von faszinierender Farbigkeit, die hier nun tatsächlich vom Raum Besitz ergreifen. Durch die Farbaddition lösen sich dabei die Farben manchmal in weißes Licht auf, um sich von diesen Partien ausgehend in geradezu sphärischen Lichtschleiern zunächst poetisch zu vermischen, bevor jedes Farblicht für sich allein in strenger Geometrie voneinander emanzipiert auf der Wand zu stehen kommt. Im "Zeitalter der Licht-Penetranz" ist dies eine wohltuend abgeklärte künstlerische Position, denn gerade die dialektische Spannung von subtil-auratischem Farbspiel und hartkantiger Farbprojektion macht die evokative Kraft von Lamperts Lichtinstallationen aus.

Als architekturbezogene Verschmelzung ihrer unterschiedlichen Arbeitstechniken und von konzeptueller Stringenz ist Stefanie Lamperts Kunst am Bau-Projekt in der Ganztagesschule in Koblenz-Dierdorf aus dem letzten Jahr zu verstehen. Dort hat sie in den Farben Gelb und Orange ganze Wandflächen jeweils einfarbig gestaltet, wobei die Stockwerke durch entsprechende Farbbänder zueinander in Beziehung gesetzt sind miteinander verbunden sind. Die großflächige Verglasung zum Innenhof hat Lampert teilweise mit farbigem Glas versehen. Dieser künstlerische Eingriff ist dezent wie wirkungsvoll, denn durch die unterschiedliche Intensität des Tageslichts kommt es zu abwechslungsreichen, immer wieder neuen immateriellen Farbmalereien des Sonnenlichts auf den Farbfeldern der Wände.

"Mir genügt in meiner Arbeit mit mir selbst zu kompetieren mit einfacher Palette mit einfacher farbe vielfache Instrumentierungen zu suchen". Dieses Statement Josef Albers' trifft auch auf Stefanie Lampert zu. Das Werk der Künstlerin ist fest in der Tradition verschiedener Stilrichtungen der Moderne verwurzelt, ist zugleich aber alles andere als ekklektizistisch. In durchdachten und ästhetisch überzeugenden Lösungen verfolgt Lampert ihren künstlerisch eigenständigen Weg, ordnet Farbe, Form und Licht zu Kompositionen von zeit- und stilunabhängiger Konsequenz.


Literaturverweise:

- Kasimir Malewitsch, Die gegenstandslose Welt, (hg. von Hans M. Wingler), Mainz, 1980, 66.
- Carl Andre 1970 in einem Interview mit Phyllis Tuchman, in: Artforum, 6, 1970, 55, zitiert in: kritisches Lexikon
  der Gegenwartskunst, 25, 1995, 14.
- Mark Rothko, Die Wirklichkeit des Künstlers. Texte zur Malerei, (hg. von Christopher Rothko), München, 2005,   124.
- Peter Sloterdijk, Lichtung und Beleuchtung. Anmerkung zur Metaphysik, Mystik und Politik des Lichts, in:
  Gestaltung mit Licht, (hg. von Wilfried Baatz), Ravensburg, 1994, 32.
- Josef Albers zitiert in: Eugen Gomringer, Josef Albers: Das Werk des Malers und Bauhausmeisters als Beitrag
  zur Visuellen Gestaltung, Starnberg, 1968, ohne Seite.

 
     

 

 
 
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