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Der König ist tot, es lebe der König. "Als ich im Jahre
1913 in meinem verzweifelten Bestreben, die Kunst von dem Ballast des
Gegenständlichen zu befreien, zu der Form des Quadrats flüchtete und ein
Bild, das nichts als ein schwarzes Quadrat auf weißem Felde darstellte,
ausstellte, seufzte die Kritik und mit ihr die Gesellschaft…", stellte
Kasimir Malewitsch retrospektiv zu seinem Geniestreich fest. Kein anderer
Künstler hatte vor ihm einen derart radikalen Schritt getan: Mit seinem
Schwarzen Quadrat beendete er alle abbildende Malerei und eröffnete zugleich
das neue Feld der ungegenständlichen Malerei. Seither haben sich viele
ungegenständliche Stilrichtungen entwickelt, denen Farbe und Form als
allein bildkonstituierende Mittel ausreichen. Besonders die nach dem Zweiten
Weltkrieg unter dem Oberbegriff der Farbfeldmalerei zusammenzufassenden
Maler sind im Kontext der Bildwerke Stefanie Lamperts von Relevanz. Nun
ist es ein Trugschluss zu meinen, dass Malewitschs Quadrate von geometrischer
Perfektion sind. Tatsächlich sind sie verzogen und leicht unregelmäßig.
Neben der Monochromie stellt auch dieser Aspekt einen Bezugspunkt zwischen
Lampert und Malewitsch dar, denn Ihre Farbwerke sind keine Bilder, die
traditionell plan an der Wand hängen. Lamperts Farbflächen neigen sich
vor, mit ihrer ganzen Fläche oder in Teilen, drängen konkav in den Raum
und korrespondieren durch ihre Mehrteiligkeit mit ihm und untereinander.
Die Bilder besitzen eine geradezu skulpturale Qualität, denn sie sind
gewölbt, im Rahmen unterschiedlich hoch und vermeiden eine einheitliche
Ebene.
Durch ihre reduzierte Formensprache finden die Arbeiten Stefanie Lamperts
eine weitere Referenzgröße im Minimalismus. So lotete Carl Andre, als
einer der wichtigsten Vertreter dieser Richtung, bereits in den 1960er
Jahren mit seinen zweidimensionalen Bodenskulpturen schon den Grenzbereich
zwischen den Gattungen Bild und Skulptur aus. Seine "Vorstellung einer
Skulptur ist eine Straße. Nämlich, eine Straße lässt sich nicht von oder
an einem bestimmten Punkt entdecken. Straßen erscheinen oder verschwinden.
Entweder befinden wir uns auf ihnen oder neben ihnen. Aber wir haben keinen
bestimmten Blickpunkt für eine Straße, nur einen Blickpunkt, der sich
bewegt, der an ihr entlang geht. (…) Ich denke, Skulptur sollte einen
nicht festgelegten Blickpunkt haben." Vor allem die letzte Feststellung
ist von Relevanz für die Wandarbeiten von Stefanie Lampert. Auch ihre
Farbwerke müssen aufgrund ihrer dreidimensionalen Tendenz von vielen Standpunkten
aus erschlossen werden; frontale Ansichten allein werden ihnen nicht gerecht.
Erst durch den wechselnden Betrachterstandpunkt - wie bei einer Skulptur
- offenbart sich ihr subtiles Spiel von Farbe, Form und Licht bzw. Schatten.
So sind Lamperts Wandarbeiten auch am besten in Räumen zu erfahren, die
den unterschiedlichen Lichtsituationen der sich ändernden Tageszeiten
ausgesetzt sind.
Die Bildwerke sind in langen Arbeitsprozessen sorgsam komponiert und mit
handwerklicher Perfektion geschaffen worden. In ersten Bleistiftskizzen
entwickelt Lampert Proportionen und Anordnungen, die sie in immer wieder
neuen Zusammenstellungen kombiniert, solange, bis daraus eine für sie
funktionierende Gesamtform entsteht. Diese wird dann materialiter umgesetzt.
Der eigentliche Akt der malerischen Produktion erfolgt durch das mehrfache
Auftragen dünner Schichten Ölfarbe auf Leinwand, bis die endgültige Farbigkeit,
die zu Form und Gesamtkomposition passend erscheint, gefunden ist. Neben
dem subtil abgestimmten Kolorit der Leinwände ist ein weiterer faszinierender
Aspekt der Arbeiten ihre Unregelmäßigkeit in der Form und der Höhe des
Rahmens und in ihrer jeweiligen Anordnung. Hierdurch ergibt sich trotz
der minimalen Geste eine nicht zu unterschätzende Wirkung auf die Wahrnehmung
des Betrachters sowie den ganzen Raum, den die Künstlerin bei all ihrem
Tun stets mit berücksichtigt.
Carl Andre empfand seine Bodenskulpturen nicht als flach, sondern meinte,
dass über ihnen eine Luftsäule stehen würde. So kann man auch Stefanie
Lamperts Wandarbeiten eine über das Materielle hinausgehende, in den Raum
zielende Tendenz zusprechen. Sie haben gegenüber den metallenen Werken
Andres den Vorteil, dass man durch das abstrahlende Farblicht etwas von
dieser immateriellen Qualität tatsächlich wahrnehmen kann. Denn durch
das Vor- und Zurückweichen der einzelnen Bildfelder entsteht nicht nur
ein spannungsvoller Dialog zwischen den einzelnen Farbfeldern, sondern
auch eine Dynamisierung des Raumes. Verstärkt oder konterkariert wird
dieser Effekt durch die Farben, von denen bekannt ist, dass sie "nämlich
von Natur aus die Fähigkeit [besitzen], in uns das Gefühl zu wecken, dass
sie entweder zurückweichen oder vorwärtsdrängen", so Mark Rothko. Von
Farben kann dementsprechend eine raumverengende oder raumerweiternde Suggestionskraft
ausgehen.
Wir hörten von der Vorstellung von Skulptur als Straße. Straßen sind Verkehrswege.
Aus der Sphäre der unterirdischen Verkehrswege ist der Titel zu Stefanie
Lamperts Ausstellung entlehnt: mind the gap. Dieser in den U-Bahnen angelsächsischer
Länder omnipräsente Warnhinweis lenkt die Aufmerksamkeit der Reisenden
auf Zwischenräume, Lücken und Spalten und warnt davor, an oder in ihnen
hängen zu bleiben. Im Kontext der Bildwerke Lamperts soll der Titel ebenfalls
auf Zwischenräume aufmerksam machen, denn es entspricht dem Konzept Lamperts,
bei manchen ihrer mehrteiligen Arbeiten Abstände zwischen den einzelnen
Farbträgern zu lassen. Hier entfaltet sich ein anderer Teil ihrer Farbwelt:
Reflexionen und farbige Schatten. Schon wussten beispielsweise die Impressionisten,
dass der Schatten nicht grau oder schwarz, sondern farbig ist. Hatte sich
in früheren Arbeiten Stefanie Lamperts "das Bild" zunächst auf der Fläche
abgespielt, wird durch das Ausdehnen der Farbe auf die Seitenflächen dieser
von der individuellen Wahrnehmung und den Lichtverhältnissen abhängige
Aspekt deutlich. Zur Aura der Bilder des schon erwähnten Mark Rothko trägt
neben ihrem transzendentalen Charakter vor allem das Farblicht bei, das
bei adäquater Präsentation und optimalem Abstand des Betrachters wahrnehmbar
ist. Stefanie Lampert lässt dieses Farblicht von den seitlichen Leinwandpartien
deutlich sichtbar abstrahlen. Diese lateralen Farbreflexionen sind die
Ligatur, der immaterielle Ordnungsruf, der die einzelnen Module aneinander
bindet, die Partitur aus Farben, Formen und Licht zum harmonischen Klingen
bringt.
Aus dem bisher Gesagten erscheint Stefanie Lamperts Konsequenz, auch mit
Licht zu arbeiten, nur mehr als logisch. Die Technik, mit gefärbtem Glas
und künstlichem wie natürlichem Licht immaterielle Bilder zu "malen" und
damit ganze Räume zu inszenieren, ist ein fester Bestandteil im Werk der
Künstlerin. Bevor man Anfang des 20. Jahrhunderts begann, reales elektrisches
Licht in der bildenden Kunst zu verwenden, wurde Jahrhunderte lang das
siderische Licht, das heißt das der Gestirne sowie das der künstlichen
Lichtquellen, mittels Farbe in der Malerei visualisiert. Auf sinnfällige
Weise verbindet Lampert in ihren Farblichtinstallationen die kunsthistorischen
Wurzeln der Simulation (von Licht durch Farbe) und Präsentation (von Farbe
durch Licht) zu einem schlüssigen Konzept. Während die Module ihrer Wandarbeiten
neben- und übereinander angeordnet sind, haben Lamperts in situ-Lichtinstallationen
den Vorteil des Über- und Durcheinanders. Durch die kreuzweise Projektion
des farbigen Lichts entstehen so immaterielle Bilder von faszinierender
Farbigkeit, die hier nun tatsächlich vom Raum Besitz ergreifen. Durch
die Farbaddition lösen sich dabei die Farben manchmal in weißes Licht
auf, um sich von diesen Partien ausgehend in geradezu sphärischen Lichtschleiern
zunächst poetisch zu vermischen, bevor jedes Farblicht für sich allein
in strenger Geometrie voneinander emanzipiert auf der Wand zu stehen kommt.
Im "Zeitalter der Licht-Penetranz" ist dies eine wohltuend abgeklärte
künstlerische Position, denn gerade die dialektische Spannung von subtil-auratischem
Farbspiel und hartkantiger Farbprojektion macht die evokative Kraft von
Lamperts Lichtinstallationen aus.
Als architekturbezogene Verschmelzung ihrer unterschiedlichen Arbeitstechniken
und von konzeptueller Stringenz ist Stefanie Lamperts Kunst am Bau-Projekt
in der Ganztagesschule in Koblenz-Dierdorf aus dem letzten Jahr zu verstehen.
Dort hat sie in den Farben Gelb und Orange ganze Wandflächen jeweils einfarbig
gestaltet, wobei die Stockwerke durch entsprechende Farbbänder zueinander
in Beziehung gesetzt sind miteinander verbunden sind. Die großflächige
Verglasung zum Innenhof hat Lampert teilweise mit farbigem Glas versehen.
Dieser künstlerische Eingriff ist dezent wie wirkungsvoll, denn durch
die unterschiedliche Intensität des Tageslichts kommt es zu abwechslungsreichen,
immer wieder neuen immateriellen Farbmalereien des Sonnenlichts auf den
Farbfeldern der Wände.
"Mir genügt in meiner Arbeit mit mir selbst zu kompetieren mit einfacher
Palette mit einfacher farbe vielfache Instrumentierungen zu suchen". Dieses
Statement Josef Albers' trifft auch auf Stefanie Lampert zu. Das Werk
der Künstlerin ist fest in der Tradition verschiedener Stilrichtungen
der Moderne verwurzelt, ist zugleich aber alles andere als ekklektizistisch.
In durchdachten und ästhetisch überzeugenden Lösungen verfolgt Lampert
ihren künstlerisch eigenständigen Weg, ordnet Farbe, Form und Licht zu
Kompositionen von zeit- und stilunabhängiger Konsequenz.
Literaturverweise:
- Kasimir Malewitsch, Die gegenstandslose Welt, (hg. von Hans M. Wingler),
Mainz, 1980, 66.
- Carl Andre 1970 in einem Interview mit Phyllis Tuchman, in: Artforum,
6, 1970, 55, zitiert in: kritisches Lexikon
der Gegenwartskunst, 25, 1995, 14.
- Mark Rothko, Die Wirklichkeit des Künstlers. Texte zur Malerei, (hg.
von Christopher Rothko), München, 2005, 124.
- Peter Sloterdijk, Lichtung und Beleuchtung. Anmerkung zur Metaphysik,
Mystik und Politik des Lichts, in:
Gestaltung mit Licht, (hg. von Wilfried Baatz), Ravensburg, 1994,
32.
- Josef Albers zitiert in: Eugen Gomringer, Josef Albers: Das Werk des
Malers und Bauhausmeisters als Beitrag
zur Visuellen Gestaltung, Starnberg, 1968, ohne Seite.
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